Unternehmensplanung und Business Judgement Rule gem. § 93 AktG

12.03.2020 von CA Redaktion | Business Development

Ein Artikel von Prof. Dr. Werner Gleißner, Vorstand der FutureValue Group AG

Rechtliche Grundlagen

Aus der Business Judgement Rule (§93 AktG) ergibt sich, dass „unternehmerische Entscheidungen“ beweisbar auf „angemessenen Informationen“ basieren sollten. Infolge der unsicheren Auswirkungen von Entscheidungen sind es insbesondere die mit diesen verbundenen Chancen und Gefahren (Risiken), die zu analysieren und in der Entscheidungsvorlage zu dokumentieren sind.[1],[2] Daraus ergibt sich speziell eine „entscheidungsorientierte“ Ausrichtung des Risikomanagements (siehe den neuen Revisionsstandard DIIR RS Nr. 2 von 2018).[3] Die zentrale Intention ist klar: unternehmerische Entscheidungen sind mit Risiken verbunden und kein Vorstand oder Geschäftsführer haftet dafür, dass solche Risiken auch einmal zu negativen Planabweichungen oder Verlusten führen können. Um dieses „Haftungsprivileg“ in Anspruch nehmen zu können, ist es aber erforderlich, die Entscheidung durch adäquate Methoden vorzubereiten und adäquate Entscheidungsvorlagen zu erstellen.[4]

Bei vielen Unternehmen dürfte die Entscheidung über die Unternehmensplanung und das Jahresbudget zu den wesentlichsten unternehmerischen Entscheidungen gehören. Nachfolgend wird diskutiert, ob jede Entscheidung über die Unternehmensplanung, also ihre „Freigabe“, als unternehmerische Entscheidung aufzufassen ist.

Die Entscheidung über die Unternehmensplanung ist genau dann eine „unternehmerische Entscheidung“, wenn diese die aus Gesetz und Rechtsprechung genannten Charakteristika erfüllt. Die wesentlichen Eigenschaften von „unternehmerischen Entscheidungen“ sind insbesondere die folgenden:[5]

  1. Es ist mindestens ein Vorstand bzw. Geschäftsführer involviert.[6]
  2. Die Entscheidung ist keine „gesetzlich gebundene“ Entscheidung.[7]
  3. Es gibt verschiedene Handlungsoptionen.
  4. Die Auswirkungen der Entscheidung sind unsicher, d.h. es bestehen Chancen und Gefahren (Risiken).

Die „unternehmerischen Entscheidungen“ sind für das Unternehmen wesentlich und der Gesetzgeber geht zunächst einmal von der Vermutung aus, dass eine Entscheidung, die von Vorstand bzw. Geschäftsführer getroffen wird, tatsächlich für das Unternehmen wesentlich ist (es sei denn, es ist explizit etwas anderes geregelt). Die Entscheidung über eine Jahresunternehmensplanung erfüllt ganz offensichtlich oft die hier skizzierten Anforderungen. Dies ist zumindest dann der Fall, wenn sich durch diese Entscheidung tatsächlich konkrete materielle Auswirkungen ergeben (also z.B. Projekte initiiert oder Budgets freigegeben werden). Dies wird in der Regel der Fall sein.

Man kann aber nun, ausgehend von der Definition einer „unternehmerischen Entscheidung“ auch diskutieren, unter welchen speziellen Bedingungen die Entscheidung über die Unternehmensplanung keine unternehmerische Entscheidung darstellen könnte. Keine unternehmerische Entscheidung könnte man vermuten, wenn

  • die Unternehmensplanung und das Budget völlig „unverbindlich“ sind und keine konkreten Auswirkungen haben,
  • lediglich eine Prognose der Zukunftsentwicklung darstellen, ohne dass über irgendwelche Maßnahmen (z.B. Investitionen) entschieden würde, oder aber
  • nur anzustrebende Ziele festgelegt werden, ohne dass zugleich über die zur Zielerreichung erforderlichen Maßnahmen entschieden würde.[8]

Die hier skizzierten Bedingungen dürften im Allgemeinen nicht erfüllt sein. Im Gegenteil: Eine durch die Entscheidung freigegebene Unternehmensplanung (oder ein Jahresbudget) wird im Allgemeinen zugleich Entscheidungen über die der Planung zugrundeliegenden Maßnahmen und Budgets darstellen (also z.B. die Entscheidung über die Durchführung einer Investition oder eines Joint Ventures oder die Einstellung von Mitarbeitern). Natürlich ist die Entscheidung über eine große Investition eine unternehmerische Entscheidung im Sinne § 93 AktG und wenn diese z.B. bei der Entscheidung im Rahmen der Jahresplanung – oft zusammen mit anderen – getroffen wird, ist dies offensichtlich auch eine unternehmerische Entscheidung.

Daraus abgeleitete Anforderungen

Aus methodischer Sicht ist zu beachten, dass eine Unternehmensplanung, die eine geeignete Vorlage für eine unternehmerische Entscheidung sein soll, auf Erwartungswerten basieren muss, die bestehende Chancen und Gefahren (Risiken) berücksichtigen. Eine zum Zweck der Unternehmenssteuerung möglicherweise durchaus sinnvolle Festlegung auf ambitionierte Zielwerte ist keine adäquate Entscheidungsgrundlage.[9] Wenn ein Unternehmen zunächst Zielwerte festlegt, ist es erforderlich unter Beachtung von Chancen und Gefahren diese erst auf „erwartungstreue Planwerte“, die sich „im Mittel“ realisieren lassen, überzuleiten.[10] Genau dies fordern übrigens schon seit Jahren die Grundsätze ordnungsgemäßer Planung (GoP).[11]

Möglicherweise mag ein Vorstand oder Geschäftsführer ausgehend von diesen Überlegungen zur Schlussfolgerung kommen, seine Unternehmensplanung einfach als „unverbindliche Orientierungswerte“ zu interpretieren oder lediglich Zielwerte für die Unternehmenssteuerung festzulegen. In diesem Fall mag es ggf. gerechtfertigt erscheinen, die Freigabe dieser Unternehmensplanung nicht als unternehmerische Entscheidung anzusehen. Das würde scheinbar dazu führen, die gesetzlichen Anforderungen im Rahmen der Planung nicht erfüllen zu müssen.

Aber die Konsequenz ist offensichtlich: Wenn man mit der Unternehmensplanung nicht wirklich verbindlich über Investitionen, Budgets, Akquisitionen oder strategisch wichtige Produktentwicklungen entscheidet, sind hierfür eigenständige unternehmerische Entscheidungen nötig. Man muss also dann z.B. für alle bedeutenden Investitionen eigene Entscheidungsvorlagen erzeugen.[12] Dies trägt im Allgemeinen nicht dazu bei, dass Arbeitszeit für die Entscheidungsvorbereitung reduziert werden könnte. Im Allgemeinen ist es am sinnvollsten, wenn man mit der Entscheidung über die Freigabe der Unternehmensplanung – soweit zum Entscheidungszeitpunkt bereits möglich – alle wesentlichen Maßnahmen, Investitionen und Teilentscheidungen verbindlich freigibt, auf denen diese Planung basiert. Damit ist diese Freigabe eine unternehmerische Entscheidung.

Sind in der Unternehmensplanung Projekte oder Investitionen geplant, die noch nicht final freigegeben worden sind, nennt man diese „Vorbehaltsentscheidungen“. Die Umsetzung solcher Maßnahmen oder Investitionen ist also in der Unternehmensplanung bereits „eingeplant“[13], aber noch nicht final entschieden. Für sie ist später noch eine eigene Vorlage für eine unternehmerische Entscheidung erforderlich, die wieder alle oben genannten Anforderungen erfüllt (also insbesondere auch diejenigen Chancen und Gefahren nennt, die mit der Entscheidung einhergehen).

Fazit

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Entscheidung über ein Jahresbudget oder eine mehrjährige Unternehmensplanung im Allgemeinen als unternehmerische Entscheidung aufzufassen ist. Dies liegt einfach daran, dass mit der Entscheidung über die Unternehmensplanung zugleich über viele der zugrundeliegenden Maßnahmen, Investitionen oder Projekte entschieden wird. Eine Unternehmensplanung hat nur dann keine Relevanz für die Business Judgement Rule, wenn sie völlig unverbindlich ist oder lediglich Zielwerte für die Unternehmenssteuerung, aber keine Entscheidung über verbindliche Maßnahmen, umfasst.[14] Im Allgemeinen ist es zu empfehlen, für die Freigabe der Unternehmensplanung eine adäquate Entscheidungsvorlage zu erstellen, also entsprechend den Anforderungen der Business Judgement Rule insbesondere Ziele, Nebenbedingungen, Handlungsmöglichkeiten, zugrundeliegende Annahmen, Prognosen sowie die Chancen und Gefahren (Risiken) zu dokumentieren.[15] Das reduziert letztlich den Arbeitsaufwand, bietet Rechtssicherheit und vor allem trägt es dazu bei, bessere Entscheidungen zu treffen.

Literaturverzeichnis

Gleißner, W. (2015): Controlling und Risikoanalyse bei der Vorbereitung von Top-Management-Entscheidungen – Von der Optimierung der Risikobewältigungsmaßnahmen zur Beurteilung des Ertrag-Risiko-Profils aller Maßnahmen, in: Controller Magazin, Heft 4/2015, S. 4-12.

Gleißner, W. (2017): Grundlagen des Risikomanagements, 3. Aufl., Vahlen Verlag München.

Gleißner, W. (2018): Risikomanagement 20 Jahre nach KonTraG: Auf dem Weg zum entscheidungsorientierten Risikomanagement, in: Der Betrieb vom 16.11.2018, Heft 46, S. 2769-2774.

Gleißner, W. (2019): Business Judgement Rule: Das neue Paradigma eines entscheidungsorientierten Risikomanagements, in: GRC aktuell, Heft 4/2019, S. 148-153.

Gleißner, W./Kimpel, R. (2019): Prüfung des Risikomanagements und der neue DIIR Revisionsstandard Nr. 2, in: ZIR, Heft 4/2019, S. 148-159.

Risk Management Association e. V. (RMA) (Hrsg.): Managemententscheidungen unter Risiko, erarbeitet von Werner Gleißner, Ralf Kimpel, Matthias Kühne, Frank Lienhard, Anne-Gret Nickert und Cornelius Nickert, Erich Schmidt Verlag Berlin, 2019.

Spindler, G. (2006): Prognosen im Gesellschaftsrecht, in: Die Aktiengesellschaft (AG), 51. Jg. (2006), S. 677-689.

Graumann, M. (2014): Die angemessene Informationsgrundlage bei Entscheidung, in: WISU, Heft 3/2014, S. 317-320.

Graumann, M./Linderhaus, H./Grundei, J. (2009): Wann ist die Risikobereitschaft bei unternehmerischen Entscheidungen „in unzulässiger Weise überspannt”?. in: BFuP, Heft 5/2009, S. 492–505.

Hartmann, W./Romeike, F. (2015): Business Judgement Rule – Maßstab für die Prüfung von Pflichtverletzungen, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, 68. Jg., Ausgabe 05-2015, S. 227-230.

Hunziker, S. (2019): Enterprise Risk Management – Modern Approaches to Balancing Risk and Reward. Springer Gabler Wiesbaden.

Scherer, J. (2012): Good Governance und ganzheitliches strategisches und operatives Management: Die Anreichung des „unternehmerischen Bauchgefühls“ mit Risiko-, Chancen- und Compliancemanagement, in: Corporate Compliance Zeitschrift (CCZ), 6/2012, S. 201-211.

Rieg, R. (2018): Eine Prognose ist (noch) kein Plan – Operative Planung in Zeiten von Predictive Analytics, in: Controlling, 6/2018, S. 22–28.

[1]     Siehe weiterführend zu den rechtlichen Grundlagen RMA, 2019.

[2]     Siehe zu weiteren Anforderungen, wie die Benennung von Handlungsoptionen Gleißner, 2019.

[3]     Gleißner/Kimpel, 2019 sowie Gleißner/Hunziker und Hunziker, 2019 mit einer Einordnung in die Anforderungen nach COSO Enterprise Risk Management (Version 2017).

[4]     Siehe Hartmann/Romeike, 2015 und Scherer, 2012 mit Bezug zu Corporate Governance.

[5]     Siehe auch die ausführlichere Erläuterung bei RMA, 2019.

[6]     Und agiert hier in seiner Organeigenschaft, und nicht etwa als disziplinarischer Vorgesetzter von Mitarbeitern.

[7]     Also keine solche, bei der es keinen Spielraum gibt.

[8]     Wobei zu diskutieren ist, ob nicht alleine die Festlegung von Zielen nicht in vielen Fällen schon als bedeutende unternehmerische Entscheidung anzusehen ist.

[9]     Man würde hier z.B. sich bei einer Investitionsentscheidung die Welt einfach „schön rechnen“.

[10]   Also durch Risikoanalyse und Risikoaggregation, siehe dazu Gleißner, 2017.

[11]   Es war ein zentrales Anliegen der GoP Anforderungen an eine Unternehmensplanung so festzulegen, dass diese als Grundlage unternehmerischer Entscheidungen geeignet sind.

[12]   Und dabei auch die Bezugnahme zur Gesamtunternehmensplanung wiederum herstellen.

[13]   Weil wahrscheinlich.

[14]   Und selbst darüber kann man diskutieren.

[15]   Unsichere Planannahmen stellen dabei grundsätzlich Chancen und Gefahren (Risiken) dar.

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